Siebenundzwanzig Gespräche über den merkwürdigen Tod des Gouverneurs der Provinz Quinghe

von Zhou Daxin

Der ehemalige Gouverneur der chinesischen Provinz Qinghe, Wantong Ouyang, ist im Alter von 69 Jahren unerwartet verstorben. Die Umstände deuten auf einen Herzinfarkt hin. Seine Witwe beauftragt einen jungen Journalisten mit der Anfertigung einer Biografie des ranghohen Beamten. Der junge Mann nimmt seine Arbeit auf und beginnt, mit Verwandten, Weggefährten und politischen Gegnern des früheren Gouverneurs Interviews zu führen. In 27 Gesprächen wird dabei episodenhaft die Lebensgeschichte des Wantong Ouyang dargestellt oder werden jedenfalls Geschichten zum Leben des Politikers entfaltet.

Dieser wird als prinzipienfester Beamten in einer Welt voller Korruption und Misswirtschaft portraitiert. Aber auch in dessen Lebenslauf bleiben einige Schatten, angefangen von seiner Entscheidung gegen seine Jugendliebe und für eine Heirat, die der Karriere dient bis hin zu Übergriffen im Amt, die zu Recht die #metoo Bewegung auf den Plan gerufen hätten. Auch scheint immer einmal wieder durch, dass der korrekte Beamte, der sich stets gegen die Korruption wandte und seine Ämter als Pflichterfüllung am Volk verstand, selbst mehr gefangen war in einem Geflecht aus Beziehungen und politischen Netzwerken, als er sich eingestanden hat. So wird gelegentlich angedeutet, wie er sich dieser Netzwerke bediente, mindestens um seine Karriere zu beflügeln oder zu retten. In diesem Sinne war es letztlich ein merkwürdiges Leben, das mit einem womöglich merkwürdigen Tod endete. Aber in den 27 Gesprächen wird nicht nur der Gouverneur dargestellt, sondern werden die Gesprächspartner selbst mit mal feinem, mal grobem Pinselstrich portraitiert. Damit entsteht in einem typisierend angelegten Personaltableau auch ein facetten- und figurenreiches Gemälde der gegenwärtigen chinesischen Gesellschaft.

Der chinesische Schriftsteller Zhou Daxin legte mit den „27 Gespräche über den merkwürdigen Tod des Gouverneurs der Provinz Qinghe“ schon vor mehr als sechs Jahren ein Buch vor, das sehr offen und konkret die Korruption im chinesischen Staatssystem anprangert und der Aufklärung und Besserung dienen soll. Dabei ist Zhou Daxin alles andere als ein Dissident. Er gehört vielmehr zu den produktiven und populären chinesischen Autoren, die fest im System verankert sind. Wie beim Literaturnobelpreisträger von 2012, Mo Yan, dessen Werke wie die von Zhou Daxin im staatlichen Volksliteraturverlag erscheinen, ließe sich diese Haltung zum System zum Vorwurf machen. Aber das ist eine bequeme europäische Sicht, gerne auch von denen vorgetragen, die nie beweisen müssen, dass sie den Weg der Dissidenz selbst gingen.
Für alle diejenigen, die eher den Zugang zum Werk als zur Biografie eines Autors suchen, eröffnet die Lektüre des Buches einen eindrucksvollen Blick in eine Gesellschaft, die uns noch immer fern ist und bisher weitgehend fremd bleibt. Hier hilft das Buch mit einer Darstellung des chinesischen Alltagslebens, zuweilen stereotyp überzeichnet und doch immer nahe an der Realität. Es ist der Blick in eine Gesellschaft, die kein Maß gefunden hat, die vom Tempo überfordert ist und eine Verbindung aus Tradition und Modernität für sich behauptet, weil sie nicht erklären kann, warum dieses Miteinander so viele Verlierer kennt und noch die Gewinner so viel auf ihrem Weg verloren haben. Dabei beweist Zhou Daxin, dass Literatur auch dort zur kritischen Stimme taugt, wo Zensur und Kontrolle enge Grenzen setzen. In seiner Intention der Volksaufklärung und Läuterung ist er zudem der Idee der europäischen Aufklärung näher als manch Kunstprodukt der hiesigen Gegenwartsliteratur.

Die Reportageform des Werkes kommt dem Stil des Autors entgegen. Zhou Daxin zählt auch in China nicht zu den klassisch geschulten Poeten, die sich der reichen kunstvollen Formen der chinesischen Schriftsprache bedienen. Vielmehr gilt der Autor als einer der führenden Bauern- und Volksschriftsteller, was auch an seinen eigenen biografischen Wurzeln begründet liegt. Ein stellenweise lehrender bis belehrender Ton wirkt dann aber gelegentlich wie ein Verdickungsmittel auf den Lesefluss. Das liest sich dann in der deutschen Übertragung zuweilen etwas umständlich, gelegentlich mühsam, auch wenn mit Longpei Lü – gemeinsam mit seiner Frau Jue Wu – ein feiner Kenner der chinesischen Kultur und erfahrener Übersetzer aus dem Chinesischen die Übertragung ins Deutsche verantwortete.

Zur Wahrheit über das Werk gehört dann auch, dass ein Buch wie die „27 Gespräche“ gegenwärtig vor der Zensur in China keinen Bestand mehr hätte. Die Bekämpfung der Korruption ist eines der zentralen innenpolitischen Themen in China, bei dem die Regierung längst Erfolge behauptet. Eine literarische Verarbeitung des Themas ist deshalb inzwischen unerwünscht. Umso mehr ist es ein Verdienst des kleinen mitteldeutschen Verlages Bussert & Stadeler, dass er einen Zugang zu Zhou Daxins Werk im deutschen Sprachraum eröffnet und dabei trotz oder wegen des späten Erscheinens in deutscher Sprache den Inhalt des Buches und eine spannende Beziehung zur noch immer gegenwärtigen Realität setzt.

Bibliografische Angaben gibt es hier: https://www.bussert-stadeler.de/index.php?route=product/product&manufacturer_id=20&product_id=137

Autor: Zhou Daxin
Verlag:Bussert u. Stadeler
Genre:Roman
Seiten:276
ISBN:978-3942115469

2 Kommentare zu „Siebenundzwanzig Gespräche über den merkwürdigen Tod des Gouverneurs der Provinz Quinghe“

  1. Ein herrlichers Buch! Wo sind die Zhou Daxins Deutschlands? Warum dürfen solche Bücher in Deutschland nicht geschrieben und veröffentlich werden? Solange wir über chinesische Korruption und die Gesinnungsdiktatur schreiben, darf alles gesagt werden. Geht es aber um unser eigenes Land, erfolgt Repression und Zensur. In diesem Sinne ist Zhou Daxin auch eine Lichtgestalt in Deutschland und Europa. China als Versuch an die ganze Welt.
    Thorsten J. Pattberg, Autor der Lehre vom Unterschied

  2. Eine großartige Rezension, die Lust auf die besprochene Lektüre macht. Dank an André Störr
    Walter Winter

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