Thomas Karlauf veröffentlichte im Jahr 2007 eine wegweisende Biografie zum Dichter Stefan George. In seinem neuen Buch «Stauffenberg. Porträt eines Attentäters» über den gescheiterten Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg, wird auf den ersten 20 Seiten der Einfluss der Lyrik Georges auf den Kreis der Verschwörer um Stauffenberg ausgemessen.
George Kreis
Stauffenberg, wie auch seine beiden Brüder Berthold und Alexander, kamen schon früh mit 14 Jahren mit dem George Kreis in Berührung. Sie verfielen, wie so viele junge Männer, dem Charisma des Lyrikers und seiner hermetischen Dichtung. Eine Dichtung, die vom Postulat der „Tat“ bestimmt war. Deren Ziel war die Bildung einer jungen geistigen Elite, zur Erneuerung Deutschlands bestimmt. George starb im Dezember 1933. Stauffenberg organisierte die Totenwache in Minusio.
Georges Stellung zum Nationalsozialismus blieb ambivalent und letztlich reserviert auch wenn er vom „neuen Reich“ in seiner Dichtung kündete. Einer Vereinnahmung durch das Regime hatte er sich stets entzogen.
Stauffenberg, aus einer alten Offiziersfamilie stammend, wurde Berufssoldat. Zunächst in der Reichswehr, dann in der Wehrmacht. Zu seinen Vorfahren gehörten Persönlichkeiten wie der preußische Heeresreformer Gneisenau, in dessen Selbstverständnis der Soldat auch ein politisch denkend und handelndes Subjekt sein müsse.
Abwendung vom Nationalsozialismus
Anfänglich durchaus für die Vorstellungen des Nationalsozialismus eingenommen, begrüsste Stauffenberg die Aufrüstung, das Wiedererstarkten Deutschlands und den Kriegsbeginn 1939. Spätestens ab dem Jahr 1943 und der Niederlage bei Stalingrad wendete er sich jedoch innerlich vom System ab. Als Soldat waren für ihn keine rationalen Kriegsziele mehr zu erkennen.
Thomas Karlauf schildert in prägnanten 12 Kapiteln die Wandlung des charismatischen Offiziers zum Widerstandskämpfer:
Wie der Entschluss in Stauffenberg reifte, dass die Staatsspitze mit Hitler ausgeschaltet werden müsse, wie nur so das Überleben des deutschen Volkes zu sichern sei, wie der nationalsozialistische Staat sich seiner Auffassung nach gegen das eigene Volk gewendet hatte, wie Hitler nur seine rassenideologisch begründete und massenmörderische Agenda verfolge.
„Es bleiben im Raum…”
Stauffenberg und seine Mitverschwörer erkannten, dass keine Politik mehr gemacht wurde. Deutschland werde den Krieg verlieren und es müsse unverzüglich, also sofort, Verhandlungen mit den Alliierten aufnehmen, um Anfang ’44 aus einer Position noch relativer Stärke zu erträglichen Friedensbedingungen zu kommen.
Gerade hier wird Stauffenbergs Selbstverständnis als politisch denkender und handelnder Soldat deutlich. Er war keineswegs ein Demokrat in unserem heutigen Verständnis. Er war vielmehr durch und durch vom Elitegedanken des Adels durchdrungen. Adel, den er als natürlichen Adel auffasste. Dies sind auch genau die Thesen hinter der Lyrik von Stefan George. Mythen des Erlösens durch einen „Auserwählten”, einen „Erlöser”, Mythen vom „Geheimen Deutschland“. Der Einfluss Georges auf Stauffenberg wird darin deutlich, wie sich Stauffenberg durch das Lesen dessen Gedichte emotional auf das notwendige Attentat vorbereitet. Es sei hier auch auf die Rezension des „Stern des Bundes” verwiesen. Es ist faszinierend zu sehen, wie aus dem Bereich der hermetischen Lyrik eines Stefan Georges ein „überspringen“ der Grenze zur Dialektik der Tat wurde.
Vermutlich wäre bei gelungenem Attentat und Umsturz Deutschland zu einer Art Militärdiktatur ständischen Zuschnitts, ähnlich dem Franco-Regime, geworden. Das bleibt Spekulation.
Fazit
Karlauf beschreibt das Zusammenraufen der politischen und militärischen Opposition. Die unterschiedlichen Vorstellungen, wie Deutschland nach erfolgtem Umsturz zu organisieren sei. Dies ist spannend zu lesen. Vor allem deshalb, weil Karlauf die Person Stauffenbergs und sein Handeln von späteren Lebensbeschreibungen der Überlebenden des 20. Juli entschlackt. Diese waren, wie die neueste Forschung zum Attentat auf Hitler zeigt, zu großen Teilen tendenziös und darauf bedacht, die eigene Rolle um die Verschwörung des 20. Juli 1944 in positivem Licht erscheinen zu lassen.