Peter Holtz

von Ingo Schulze

Ingo Schulze: „Peter Holtz – Sein glückliches Leben von ihm selbst erzählt“ (2017)

Peter Holtz, der Protagonist in Ingo Schulzes neuem und gleichnamigem Roman, ist Kommunist. Heute kann man das ja wieder sein. Als indes Peter Holtz im 1974 aus einem Kinderheim in der damaligen DDR ausbüchst, war das nicht so einfach möglich. Denn die DDR war kein kommunistischer Staat, sondern ein sozialistischer, was ein bedeutsamer Unterschied für alle war, denen das Lauftempo des von Marx prognostizierten gesellschaftlichen Fortschritts zu langsam schien. Für Peter Holtz war schon damals, als er gerade einmal 12 Jahre zählte, Geld eine unnütze Erfindung, zumal in einer Gesellschaft, in der alles Allen gehört. Geld wird dann in den 571 folgenden Seiten des Romans eine tragende Rolle spielen. Denn es erweist sich ausgerechnet gegenüber dem Kommunisten Peter Holtz als ausgesprochen anhänglich und verhilft dem, der alle Klassengegensätze überwinden will, zu einem sich stets mehrenden Wohlstand. 

Mit „Peter Holtz – Sein glückliches Leben von ihm selbst erzählt“ legt Ingo Schulz, 1962 in Dresden geboren, einen Schelmenroman vor. Das zu erkennen, hätte es des Klappentextes und der vielen Interviews um das Buch nicht bedurft. 

Überhaupt die vielen Interviews. Natürlich braucht ein solches Werk eines solch talentierten Erzählers Aufmerksamkeit. Und doch bringen es die vielen Gespräche, die Ingo Schulze zur Markteinführung seines Buches zu führen hatte, auch mit sich, dass eben nicht das Werk allein sprechen kann, sondern der Autor über sein Werk sprechen musste. Das hilft dem Werk nicht immer, auch wenn dadurch kaum mehr Zweifel verbleiben, was genau uns der Autor damit sagen wollte. Und so lastet auch die öffentlich benannte Ahnenreihe des Helden Peter Holtz – verwiesen wurde natürlich auf Werke vom Simplicissimus bis hin zur Blechtrommel – mehr als Last denn als Versprechen auf diesem Werk.

In jedem Fall ein Genuss ist es aber wieder einmal, wie der Autor sagt, was er zu sagen hat. Ingo Schulze ist ein begnadeter Erzähler. Er hat es schon mit seinen „33 Augenblicken des Glücks“ (1995) bewiesen, die längst Kanon in germanistischen Hauptseminaren sind. Die Präzision seiner Sätze, die Effizienz der Setzungen und ein Rhythmus, der stets nahe am Sprechen ist, zeichnen den an den alten Sprachen geschulten Autor seit seinen ersten Kurzgeschichten aus und gelingen auch dieses Mal. Und so ist es auch zu keiner Zeit eine Qual, sich durch den umfangreichen Text zu lesen und dabei der Geschichte vom bisherigen Leben des Peter Holtz zu folgen. Es könnte dies ein glückliches Leben sein, denn es gelingt diesem Peter Holtz alles, wenn Glück und Gelingen in Bezug auf das Leben in einem materialistischen Sinne verstanden werden. Denn ob vor der Wende oder danach bleibt der wirtschaftliche Erfolg die Konstante in dessen Leben, obwohl er diesen lange nicht sucht. Aber das eigentlich Besondere an diesem Peter Holtz ist seine Aufrichtigkeit, seine bis zur Unhöflichkeit reichende Ehrlichkeit und die Naivität, mit der er seinen Mitmenschen begegnet. Natürlich braucht es dieser Naivität, damit aus Holtz ein Schelm werden kann, der alles Behauptete ernst nimmt und es damit als Phrase, als Lüge entlarvt. So gänzlich neu erfunden werden musste eine solche Figur nicht. Vom singenden Baggerführer Gerhard Gundermann, im Osten Deutschlands durchaus noch bekannt, werden Anekdoten erzählt, die Peter Holtz gar nicht mehr so fiktional erscheinen lassen.

Doch was bis ins Jahr 1989 in Schulzes Buch noch gut funktioniert, gerät mit der Wende, wie so Vieles, ins Schlingern. Die Entwicklung vom Kommunist zum kommunistischen Christen liest sich originell. Der weitere Fortgang hin zum Kapitalisten dagegen kommt alsbald ins Trudeln. Und wenn zuletzt der Kunstmarkt als besonderer Exzess des Kapitalismus herhalten muss, mag das als Argument womöglich stimmen. Jedoch geht es gerade im Kunstmarkt weniger um eine kapitalistische Produktionsweise im Sinne von Karl Marx, sondern doch mindestens auch um Exklusivität, um das Besitzen des Besonderen. Bildende Kunst ist eine Form von Repräsentation, die gegen Gesellschaft gerichtet ist, der Abgrenzung dient. Darum ist das, was in einer Galerie als Handelsplattform für Kunst geschieht, nicht einfach der Beweis der Marxschen Formel vom Geld-Ware-(mehr)Geld Phänomen der kapitalistischen Produktionsweise, auch wenn die Bruttowertschöpfung exorbitant ist.

Und darin liegt dann auch die Tragik des neuen Romans von Ingo Schulze: Wo sein erster Roman „Neue Leben“ (2005) noch beobachtend und beschreibend war, will sein jüngstes Werk missionieren. Nun mag dem Geld zuweilen eine fatale Rolle zukommen. Es ist indes wie jedes Ding aber dennoch für sich genommen ohne einen ethischen Wert; es ist ein Werkzeug und seine Verwendung dieser verflixten Dialektik unterworfen, die aus der Unterscheidung von Verstand und Vernunft folgt. Und vielleicht sind ja die Ideen des 19. Jahrhunderts, dieser Versuch einer politischen Ökonomie und einer aus den Bruchstücken des Idealismus gebauten Teleologie gesellschaftlicher Entwicklung doch nur ideengeschichtlich interessant, aber nicht weniger falsch oder richtig als all die anderen Erklärversuche von Menschheit und Gemeinschaft. Wer weiß das schon. Immerhin vermittelt oder wenigstens bestätigt die Lektüre des „Peter Holtz“ gleich zwei Erkenntnisse. Erstens: Der Bruch von 1989 ist für unsere zeitgenössische Kunst noch immer eine der ergiebigsten Quellen, die Relevanz vermittelt. Und Zweitens: Der Schelmenroman funktioniert, wo er die menschlichen Schwächen hervorstellen will. Als Systemkritik dagegen ist er methodisch – leider – ungeeignet.

Autor: Ingo Schulze
Verlag:S. Fischer
Genre:Roman
Seiten:576
ISBN:978-3-10-397204-7

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