Das Reispflanzerlied

von Eileen Chang

Der Kommunismus und die Bauern hatten es von Beginn an nicht leicht miteinander. Schon bei Karl Marx bekam die kommunistische Idee eine deutlich proletarische Schlagseite. Für Marx musste der Übergang von der bürgerlichen zur klassenlosen Gesellschaft zuerst in hochindustrialisierten Ländern stattfinden, als proletarische Revolution. Aber nach Marx ging es nicht. Tatsächlich verfing die Idee des Kommunismus in der Praxis zuerst im wenig industrialisierten Russland.

Und auch im von einem nicht enden wollenden Bürgerkrieg geplagten China begann 1927 eine bäuerlich-revolutionäre Epoche mit den unter Führung von Mao Zedong initiierten Herbsternte-Aufständen. Einen unmittelbaren Erfolg hatten diese Bauernerhebungen zwar nicht. Aber sie waren immerhin die Geburtsstunde von Maos Bauernheer.

Eine Generation später, im Jahr 1949, hatte die kommunistische Bewegung den Sieg im Bürgerkrieg errungen und den Staat China als Volksrepublik neu gegründet. In dieser Zeit schrieb Eileen Chang (Zhang Ailing) eine Novelle über das Vordringen des nun zur staatlichen Ideologie aufgewerteten Kommunismus in die bäuerliche Gesellschaft. Diese Novelle ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Zum einen schrieb die chinesische Autorin das Werk „The Rice Sproud Song“ (deutsch „Das Lied von der Reissprossung“) auf Englisch. Zum anderen erhielt sie zu dieser Zeit Geld vom United States Information Service, so dass es im Grunde ein Auftragswerk war, erwartet als ein Stück antikommunistischer Propaganda. 

Ein Stern am Shanghaier Literaturhimmel

Eileen Chang, 1920 in Shanghai als Spross einer alten Beamten- und Soldatenfamilie, geboren, war in den 1940er Jahren ein Star der Shanghaier Literaturszene.

Chang erfuhr in der turbulenten Zeit des chinesischen Bürgerkriegs auf einer christlichen Mädchenschule in Shanghai eine westlich orientierte Erziehung, einschließlich Kunst-, Klavier- und Sprachunterricht. Sie erwarb sich dabei auch exzellente Englischkenntnissen und nur der Ausbruch des 2. Weltkriegs verhinderte ein Studium in London. Eine Zukunft im kommunistischen China sicherten ihre diese Fertigkeiten und der erworbene Status indes nicht. Und so zog sie die Emigration vor, die sie über Hong Kong und später Taiwan schließlich in die USA führte. Als Schriftstellerin erlebte sie dort nicht mehr den Erfolg ihrer frühen Jahre. Immerhin lebte ihr Ruhm posthum (sie verstarb 1995) noch einmal auf, als Ang Lee 2007 ihre frühe Erzählung „Gefahr und Begierde“ verfilmte und das Werk den Goldenen Löwen der Filmfestspiele von Venedig gewann. 

Dadurch kam auch in Deutschland wieder ein wenig Interesse an ihren Werken auf. Im Ullstein-Verlag erschien 2009 in dem zur Verlagsgruppe gehörenden Claassen Verlag die Novelle aus dem Jahr 1955 unter dem Titel „Das Reispflanzerlied“ neu. Der ebenfalls zur Ullstein-Gruppe gehörende List-Verlag übernahm die Herausbringung 2011 in einer unveränderten Ausgabe, wenn auch derzeit nur als e-Book lieferbar.  

Eileen Chang erzählte in dieser Novelle eine kurze Episode einer Dorfgeschichte zwischen Bodenreform und Kollektivierung der Landwirtschaft irgendwo in Zentralchina zu Beginn der 1950er Jahre. Eine plumpe Propaganda liefert sie dabei nicht, sondern ein durchaus berührendes Werk, das auch als ein Stück Zeitgeschichte gelesen werden kann

Vom Kommunismus auf dem Lande

Der zentrale Bezug der Erzählung ist ein Ehepaar aus dem Dorf: Mann, Frau und kleine Tochter. Zu Beginn der Geschichte ist die Ehefrau noch im fernen Shanghai, wo sie als Dienstmädchen arbeitet, während der Mann als Bauer im Dorf lebt. Er hat unter den neuen Vorgaben der kommunistischen Ära durch Arbeitsfleiß den Titel des Modellarbeiters und damit ein gewisses Maß an Respekt unter seinen Nachbarn erworben. Die gemeinsame Tochter hat sich derweil von der abwesenden Mutter entfremdet. Die Mutter indes kehrt aus Shanghai zurück, wo es immer schwieriger wird, Arbeitgeber für Dienstmägde zu finden. Sie, die bisher mit ihrem Gehalt die Familie maßgeblich ernährt hat, hofft nun, in diesen Zeiten des Umbruchs auf dem Land, an der Quelle der Nahrungsmittelproduktion, ein ausreichendes Auskommen zu finden. Wie so viele Erwartungen und Hoffnungen wird sich auch diese als Trugschluss erweisen. 

Die Geschichte beginnt mit der Verheiratung der Schwester des Modellarbeiters in das benachbarte Dorf der Zhou-Sippe. Chang nutzt diese Episode, um in lakonischem Stil die Kulisse zu zeichnen. Das offenbart auch in der deutschen Übersetzung Sprachgefühl (Übersetzung: Susanne Hornfeck), erst Recht im englischen Original. Schon hier am Beginn wird auch das eigentliche große Thema der Erzählung eingeführt. Das ist indes nicht der Kommunismus, sondern in einer überraschend unideologischen Form der Hunger. Durch die Erzählung hindurch leiden alle Bauern ständig Hunger. Was auf den ersten Blick seltsam anmutet, da doch die Bauern die Lebensmittel erzeugen, ist indes vor dem Hintergrund des langen Bürgerkriegs für die Bauern keine neue Erfahrung. Allerdings hat sich auch durch Bauernbefreiung und Bodenreform nichts an der Härte ihres Lebens geändert. Nun ließe sich erklären, dass in der Kürze der Zeit eine signifikante Verbesserung der Lebensverhältnisse auch gar nicht möglich sei. Aber die Tristesse, die Freudlosigkeit des Alltagslebens, die Chang darstellt, berührt gerade wegen der völligen Abwesenheit von Optimismus und Hoffnung. Und so ahnt der Leser, dass auch die in der Erzählung nur für die Zukunft angekündigte Kollektivierung der Landwirtschaft in ihrer Intention, die Bauern zu Proletariern zu machen, zu dieser besitzlosen Lebensform, der nur die eigene Arbeitskraft zur Verfügung steht, an deren desolaten Lage nichts ändern wird.

Doch bleibt diese Kritik an der Idee dezent. Mehr Raum nimmt sich Eileen Chang, um die Eigenheiten der chinesischen Gesellschaftskultur darzustellen, etwa die für uns Europäer erstaunliche und bis zur Selbstaufgabe reichende Gastfreundschaft und Höflichkeit. Diese Konventionen werden auch durch die neue Gesellschaftsordnung nicht aufgelöst, sie bleiben beharrlich im Miteinander bestehen, auch wenn die Mittel, sie zu erfüllen, kaum noch gegeben sind und sie anachronistisch wirken. Eileen Chang lässt uns dann gleich eingangs hinter diese Fassade aus Konvention und Pflicht blicken. Dort begegnet eine alte Frau einem entfernten Verwandten auf der staubigen Straße einer kleinen Provinzstadt. Sie ist hungrig, er verkauft Sesamstangen. Es entspannt sich dann eine längere Kontroverse um den Umstand, dass er ihr eine Sesamstange schenken will (also muss) und sie diese Stange ablehnt (also annehmen will). Am Ende trennen sich die beiden, sie schließlich doch mit einer Sesamstange. Und das Lächeln wechselte seinen Standort „Es verschwand vom Gesicht des jungen Mannes, um auf dem ihren zu erscheinen“. Er ging mit „leicht gequälter Miene“ weiter, während sie zufrieden „davonwatschelte“. 

Das ist dann auch die große Stärke des Werkes, seine Nähe zu den Protagonisten, die Glaubwürdigkeit, mit der die Geschichte entwickelt wird. Vielleicht ist dies geschickte Propaganda. Aber viel eher erscheint es als Empathie. Das zeigt sich gerade auch in der Figur des Repräsentanten der Kommunistischen Partei, des gànbù des Dorfes. Diesem gibt die Autorin den Familiennamen Wang, der am häufigsten vorkommende Name in China. Dieser Wang wird dann auch nicht als ideologisch verblendeter Kommunist präsentiert, sondern in seinem Wollen und seinen Zwängen dargestellt. Selbst diese Zwänge erscheinen nicht verwerflich, sondern bleiben im Grunde nachvollziehbar. Chang gibt ihm sogar eine Lebensgeschichte und nimmt dafür ein Abschweifen von der eigentlichen Handlung in Kauf. 

Von Hungernden und Essenden

Die eigentliche Kritik Changs erfolgt dann auch weniger am Kommunismus als vielmehr an einem bestimmten Typus von Repräsentanten der neuen Zeit. In Changs Novelle ist dies ein junger Mann, Herr Gu, der als Schriftsteller und Drehbuchautor in das Dorf kommt, um einen Stoff für ein neues Werk zu finden. Er, der Intellektuelle aus Shanghai, der erst nach dem Sieg des Kommunismus zu diesem fand, bleibt ein Fremdkörper im Dorf – vor allem auch weil er es bleiben will. Nun ließe sich in dieser Figur eine Metapher sehen, darauf, dass auch der Kommunismus, diese urbane proletarische Idee, auf dem Lande fremd bleibt. Aber dazu fehlt es schon an den entsprechenden Merkmalen in der Personenbeschreibung. Die Rolle ist viel schlichter und nicht als verkörperte Idee angelegt, sondern in ihrer individuellen Ausgestaltung plausibel. Der junge Künstler steht für die Eitelkeit und die Vorteilssuche, diese menschlichen Schwächen, die einem Kommunismus unzuträglich sind. In seinem Verhalten zeigt er eine gewisse Nähe zu den Schweinen, mit denen George Orwell in seiner zehn Jahre zuvor erschienenen Fabel „Animal Farm“ das Kadersystem karikiert. Auch Gu will nicht Gleicher unter Gleichen sein, sondern anders, herausgehoben. Wie schon bei Orwell nutzt auch Chang den Kontrast zwischen einerseits dem Hunger und dem Prassen auf der anderen Seite als Bild, wenn sie sich Gu regelmäßig heimlich in der Stadt mit Essen eindecken lässt, so dass er der einzige im Buch ist, der nicht Hunger leidet. Aber zugleich bleibt auch der Umstand, dass Gu als Künstler Agitator sein soll, was sich auch auf Chang selbst beziehen ließe, die von der US Regierung bezahlt wird. So viel Selbstironie kann dieser talentierten Frau auch durchaus zugeschrieben werden.

Am Drama, zu dem sich die Geschichte hin steigert, ist Gu dann auch gar nicht beteiligt. Dieses Drama nimmt seinen Lauf ungeplant, aber auch unvermeidbar. Seinen Höhepunkt findet die Erzählung in einer Art Hungeraufstand, der doch gar kein Aufstand ist, sondern eine Eskalation, die unglücklich beginnt und in ihrer Dynamik dann nicht mehr zu stoppen ist.

 Auch wenn die Trostlosigkeit der Existenz und die Härte, mit der die Menschen auf ihre Lage reagieren, wenig Anlass zu wirklicher Sympathie mit den Protagonisten schafft, ist das Ende dann doch bestürzend. Es bleibt kein Grund zur Hoffnung, wenn selbst der Tanz der Reispflanzer nur noch ein Totentanz ist.    

 

Autor: Eileen Chang
Verlag:Ullstein
Genre:Roman
Seiten:222
ISBN:9783843715805

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