Philipp Blom: Die Welt aus den Angeln. Eine Geschichte der Kleinen Eiszeit von 1570 bis 1700 sowie der Entstehung der modernen Welt, verbunden mit einigen Überlegungen zum Klima der Gegenwart.
Ein Zusammenhang zwischen dem Klima und der Entwicklung der Menschheit wird schon seit der Neuzeit von Wissenschaftlern und Philosophen angenommen. Herder etwa vermutete in seinen «Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit», dass doch im wesentlichen nicht der Geist, sondern die Verschiedenheit des Klimas die Verschiedenheit des Menschen hervorbringe.
Diese Vorstellungen liegt nahe – betrachte man doch nur die so unterschiedlichen Klimazonen, die von Menschen bewohnt werden und den damit verbundenen schwierigen Anpassungsleistungen.
Was für uns heute indes an Interesse gewinnt, ist nicht mehr die Frage, wie die Anpassung erfolgte und welche Auswirkungen sie auf die Kultur, also die Organisation von Zusammenleben, jeweils hat. Mit Blick auf eine zumindest statistisch nicht mehr zu leugnende globale Erwärmung stellt sich uns die Frage, wie schnell die Menschen sich an Änderungen im Klima anpassen können und welche Auswirkungen und Folgen dies auf das Miteinander in einer Gesellschaft und in einem System von Staaten hat.
Um hierzu Prognosen abgeben zu können, hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Klimageschichte als neue Facette der Geschichtswissenschaft etabliert. Wolfgang Behringer hat dazu bereits 2007 mit seiner «Kulturgeschichte des Klimas» einen starken Akzent gesetzt und ein breites Publikumsinteresse gefunden. Seine Einschätzung, dass Klimaänderungen enorme Auswirkungen auf die betroffenen Gesellschaften haben, dabei indes Abkühlungen negative, Erwärmungen eher positiv Folgen mit sich bringen, brachte ihm aber nicht nur Zustimmung, sondern auch erheblichen Widerspruch.
Der in Wien lebende Historiker Philipp Blom hält sich in seinem 2017 erschienen und in zwischen bereits in 5. Auflage vorliegenden Werk «Die Welt aus den Angeln» in seinen Prognosen zum aktuellen Klimawandel zurück. Er will mehr beschreiben als erklären, was ab 1570 mit den Gesellschaften in Europa geschah, die sich mit einer rapide eintretenden Abkühlung konfrontiert sahen.
Wir nennen heute diese Phase, die bis in das 19. Jahrhundert andauerte, nicht ohne Grund „Kleine Eiszeit“.
Blom, der in Wien und Oxfort studierte, schreibt in englisch-amerikanischer Tradition unterhaltsam, zugänglich und doch exakt. Es ist ein Sach- kein Fachbuch, will aber auch wissenschaftlichen Maßstäben genügen. Dazu gibt es nicht nur lange Zitate aus Originalquellen, sondern auch einen äußerst umfangreichen bibliografischen Nachweis. Dass darin auch bei Werken, die ihre Erstauflage in deutscher Sprache hatten, lediglich die englischsprachige Ausgabe nachgewiesen ist, wirkt etwas affektiert, mag aber seinen Grund darin haben, dass Blom sein Werk in wesentlichen Teilen während eines Auslandsaufenthaltes schrieb.
Was Blom auf 262 Oktavseiten zusammenträgt, beginnt mit einem Prolog als vielversprechender Einstieg in eine Kultur- und Sozialanalyse. Daran schließen sich dann drei Hauptteile und ein Epilog an. Im ersten der Hauptteile wird die Wahrnehmung der klimatischen Veränderung erzählt, auch ihre Folgen auf Warenproduktion, Handel und die Tektonik der Machtzentren.
Das ist so erkenntnisreich wie unterhaltsam und der stärkste Teil des Werkes. Denn anschließend wird die Erzählung mehr und mehr zu einer episodenhaften Darstellung der Ideengeschichte in der Neuzeit bis zum Beginn der Aufklärung. Das ist nicht schlimm, schon da die Darstellung faktenreich und pointiert bleibt. Nur verliert sich der Bezug zum selbst gesetzten Thema. Denn so spannend die République de Lettres als enges Kommunikationsnetz war, so baut sie doch nicht auf überfrorenen Flüssen auf, sondern auf der Innovation eines engmaschigen und einer Maschine gleich funktionierenden Postwesens, wie es seit dem Ende des 15. Jahrhunderts aufgebaut wurde. Gleichsam hätte es zur Einordnung gelohnt, die Mobilität von Wissen ab dem Spätmittelalter mit in den Blick zu nehmen, in dem zwar noch nicht Gedanken verbrieft ausgetauscht wurden, aber die Gelehrten selbst mit ihren Ideen auf Reisen gingen.
Noch weniger stringent gerät dann Bloms Verknüpfung von Kultur- und Ideengeschichte. Denn eine direkte Verbindung zwischen den Werken eines Spinozas, Descartes oder Lockes zur Kälteperiode weist Blom nicht nach. Vermutlich will er es auch nicht. Eine solche These wäre auch leicht angreifbar und wesentlich schlechter zu verteidigen als Behringers einstiger Rat, dem aktuellen Klimawandel gelassen entgegen zu sehen. Denn die Frage nach dem Verhältnis von Mensch zu Gott, nach der Bedeutung von Religion und nach der conditio humana wurde nicht erst gestellt und in für uns heute noch akzeptabler Weise beantwortet, als der Frost das öffentliche Leben über ein Drittel des Jahres störte. Schon Francesco Petrarca auf seinem Weg zum Mont Ventoux im warmen 14. Jahrhundert und vor allem Pico della Mirandola mit seiner Oratio De Hominis Dignitate aus dem ausgehenden 15. Jahrhundert, formulierten hierzu Ideen, die den Diskursen des 17. und 18. Jahrhunderts sehr nahe waren. Und auch unter den dargestellten Denkern der Neuzeit gibt es jedenfalls keinen mit dem Klima zusammenhängenden Grund, zwar dem Werk Lockes Raum einzuräumen, der dem Menschen eine naturgegeben Kraft (Recht) zuerkannte, sein Eigentum (property) zu schützen, das er als „life, liberty and estate“ definierte, indes das Konzept eines Hobbes unerwähnt zu lassen, den mit seinem allein auf persönlicher Sicherheit basierenden Staatsmotiv eher die Rauheit der Umstände beeinflusst zu haben scheint.
Das ist so erkenntnisreich wie unterhaltsam und der stärkste Teil des Werkes. Denn anschließend wird die Erzählung mehr und mehr zu einer episodenhaften Darstellung der Ideengeschichte in der Neuzeit bis zum Beginn der Aufklärung. Das ist nicht schlimm, schon da die Darstellung faktenreich und pointiert bleibt. Nur verliert sich der Bezug zum selbst gesetzten Thema. Denn so spannend die République de Lettres als enges Kommunikationsnetz war, so baut sie doch nicht auf überfrorenen Flüssen auf, sondern auf der Innovation eines engmaschigen und einer Maschine gleich funktionierenden Postwesens, wie es seit dem Ende des 15. Jahrhunderts aufgebaut wurde. Gleichsam hätte es zur Einordnung gelohnt, die Mobilität von Wissen ab dem Spätmittelalter mit in den Blick zu nehmen, in dem zwar noch nicht Gedanken verbrieft ausgetauscht wurden, aber die Gelehrten selbst mit ihren Ideen auf Reisen gingen.
Noch weniger stringent gerät dann Bloms Verknüpfung von Kultur- und Ideengeschichte. Denn eine direkte Verbindung zwischen den Werken eines Spinozas, Descartes oder Lockes zur Kälteperiode weist Blom nicht nach. Vermutlich will er es auch nicht. Eine solche These wäre auch leicht angreifbar und wesentlich schlechter zu verteidigen als Behringers einstiger Rat, dem aktuellen Klimawandel gelassen entgegen zu sehen. Denn die Frage nach dem Verhältnis von Mensch zu Gott, nach der Bedeutung von Religion und nach der conditio humana wurde nicht erst gestellt und in für uns heute noch akzeptabler Weise beantwortet, als der Frost das öffentliche Leben über ein Drittel des Jahres störte. Schon Francesco Petrarca auf seinem Weg zum Mont Ventoux im warmen 14. Jahrhundert und vor allem Pico della Mirandola mit seiner Oratio De Hominis Dignitate aus dem ausgehenden 15. Jahrhundert, formulierten hierzu Ideen, die den Diskursen des 17. und 18. Jahrhunderts sehr nahe waren. Und auch unter den dargestellten Denkern der Neuzeit gibt es jedenfalls keinen mit dem Klima zusammenhängenden Grund, zwar dem Werk Lockes Raum einzuräumen, der dem Menschen eine naturgegeben Kraft (Recht) zuerkannte, sein Eigentum (property) zu schützen, das er als „life, liberty and estate“ definierte, indes das Konzept eines Hobbes unerwähnt zu lassen, den mit seinem allein auf persönlicher Sicherheit basierenden Staatsmotiv eher die Rauheit der Umstände beeinflusst zu haben scheint.
Und hat es vielleicht etwas zu bedeuten, dass Goethe im Jahr 1816, dem Jahr ohne Sommer, ausgerechnet seine «Italienische Reise» veröffentlichte? Womöglich nicht. Womöglich ist der Einfluss des Klimas auf die Ideengeschichte weniger relevant als auf den Warenhandel, das Kriegsgeschehen und die Urbanisierung. Dann ist Philipp Bloms Buch «Die Welt aus den Angeln» wohl kein Beitrag zur Klimageschichte und zur Diskussion um den Klimawandel.
Es ist dann nicht mehr als ein kleiner historischer Einblick in die Neuzeit und eine subjektive Auswahl zur Ideengeschichte dieser Epoche, bildreich erzählt und verständlich. Aber eben auch nicht weniger als das.