Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog

von Christopher Clark

Der Autor Christopher Clark ist ein australischer Germanist und lehrt als Professor für Neuere europäische Geschichte am St. Catharine’s College in Cambridge, Großbritannien. Sein Buch „Die Schlafwandler Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog“ hat in Deutschland eine immense Resonanz. Es schildert den schlafwandlerischen Weg Europas in den Ersten Weltkrieg.

Clark festigte u.a. mit den Bestsellern „Preußens Aufstieg und Niedergang. 1600 – 1947 “ (DVA 2007) und der Biographie „Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers“ (DVA 2008) seinen wissenschaftlichen Ruf als Kenner der deutschen Geschichte.

In „Die Schlafwandler“ beschränkt Clark seine Argumentation nicht auf monokausale Linien oder einseitige Schuldzuweisungen als Grund für den Ausbruch des „Großen Krieg“. Stattdessen taucht er tief in die Archive. Aktenbestände der Entente-Mächte, wie auch der Mittelmächte hat er neu erschlossen und interpretiert. Mit stupender Kenntnis der Aktenlage schildert Clark, wie die Großmächte 1914 in einen Krieg gingen, dessen Ausmaß sich bei Ausbruch niemand vorstellen konnte. Minutiös zeichnet er die Interessen und Motive der Machthaber nach. Von gegenseitigem Misstrauen und Fehleinschätzungen getrieben, legten sie den Funken an die Lunte der schwelenden Konflikte auf dem Balkan. Damit wurde eine Kettenreaktion wechselseitiger Bündnisverpflichtungen ausgelöst, welche schließlich in die Kriegserklärungen mündete.

Dunkelheit über Europa

„In ganz Europa gehen die Lichter aus, wir werden es nicht mehr erleben, dass sie angezündet werden“, sagte der britische Außenminister Grey zu einem Vertrauten am Abend des 3. August 1914 beim Blick aus seinem Amtssitz am St. James Park in London, als dort gerade die Laternen angezündet wurden.

Zeitenwende

Anfang des 20. Jahrhunderts herrschte in allen Bereichen ein ungeheurer Modernisierungsschub. Alles änderte sich in bisher unbekannter Geschwindigkeit. Die Menschen waren überfordert und nervös. Ein neues Krankheitsbild wurde endemisch: die „Neurasthenie“ oder „Nervenschwäche“. Heute würde man es „Burn Out“ nennen.

Eine interessante These Clarks, wie es zur Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts kommen konnte ist, dass der in der damaligen Gesellschaft herrschende Männlichkeitsethos es den Akteuren auf beiden Seiten unmöglich machte, im entscheidenden Moment zu deeskalieren und auf Ausgleich zu setzen. Übersteigerter Nationalismus in Verbindung mit einem absurden männlichen Prestigedenken, verbot ein Zurückweichen in der Konfrontation. „Nervenschwäche“ zu zeigen, war einem Mann unmöglich. Seine Ehre und Männlichkeit verlangte ein unbedingtes Festhalten an einmal eingenommenen Positionen. Nervenzusammenbrüche der Akteure waren die Folge. Dieses Überlastungssyndrom der politisch Handelnden in der Juli–Krise von 1914, in Verbindung mit dem Fehlen supranationaler Streitschlichtungsinstrumente, ließ alle Beteiligten wie „Schlafwandler“ in die Katastrophe der Schützengräben gleiten.

Ein brandaktuelles Buch

Vor dem Hintergrund neuer nationalistischer und populistischer Bewegungen – sei es der französische „Front National“, die italienische „Lega Nord“ oder die AfD – hat Clark in seiner Analyse ein ungemein wichtiges Lehrbuch vorgelegt. Wer heute die EU ablehnt, der übersieht die friedensstiftende Macht supranationaler Organisationen des Interessenausgleichs. Ein mühsames Geschäft des Aushandelns von Kompromissen ist allemal besser als ein Gang in die Schützengräben.

Autor: Christopher Clark
Verlag:DVA
Genre:Sachbuch
Seiten:896
ISBN:3421043590

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